Landwirtschaft und Ernährung müssen zusammenfinden

Science_Forum_2013_Podiumsdiskussion_Quelle_Foto: www.blog.tropentag.de

Das Science Forum 2013 schloss mit einer Podiumsdiskussion.

Nutritional sensitivity ist das neue Schlagwort bei der Bekämpfung von Unter- und Mangelernährung.

Dahinter verbirgt sich die nicht gerade neue Erkenntnis, dass bislang weder Agrar- noch Ernährungsprogramme einen wirklich durchschlagenden Erfolg hatten bei der Verbes-serung der Ernährung armer Bevölkerungsgruppen.

Doch jetzt soll nicht mehr länger darüber geredet, sondern gehandelt werden, so der Konsens beim Science Forum 2013, das Ende September in Bonn stattfand. Es war dem Thema „Nutrition and Health Outcomes: Targets for Agricultural Research” gewidmet.

Etwa drei Milliarden Menschen weltweit leiden unter verborgenem Hunger. Dazu kommt es, wenn im Essen dauerhaft Vitamine und wichtige Spurennährstoffe wie Eisen, Jod oder Zink fehlen. Die Folgen sind ernährungsbedingte Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauferkrankungen, aber auch massive Entwicklungsstörungen bei Kindern, vor allem ein verzögertes Wachstum und eine verminderte geistige Leistungsfähigkeit. Allein im Jahr 2011 litten 165 Millionen Kinder weltweit unter Wachstumsstörungen aufgrund schlechter Ernährung. Die Betroffenen haben ihr Leben lang an den Folgen zu tragen. Es ist inzwischen nachgewiesen, dass unterernährte Kinder im Erwachsenenalter 30 bis 40 Prozent weniger Einkommen haben als normal ernährte. Verborgener Hunger ist also nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern auch ein massives volkswirtschaftliches Problem.

Vielschichtiges Problem
Für etwa ein Fünftel der Kinder, die von stunting, wie es auf Englisch heißt, betroffen sind, beginnt das Drama bereits im Mutterleib. Mütter, die selbst unter Mangel- und Unterernährung leiden, geben den Mangel an ihre ungeborenen Kinder weiter. Und so kommen die Babys bereits mit Ernährungsdefiziten zur Welt. Um den verborgenen Hunger bei den Unterfünfjährigen erfolgreich zu bekämpfen, sind die ersten 1.000 Tage im Leben eines jeden Kindes entscheidend. Und zwar angefangen von der Empfängnis bis zum Ende des zweiten Lebensjahres. Die Wissenschaftler des Science Forum 2013 identifizierten daher Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter als eine wichtige Zielgruppe für künftige landwirtschaftliche und Ernährungsprogramme. Dabei dürfe man aber nicht nur die Ernährung im Blick haben, sondern müsse alle Aufgaben berücksichtigen, die die Frauen in der Landwirtschaft, im Haushalt und in der Kindererziehung haben. Denn auch das hat Einfluss auf die Ernährung der Kinder, wie in den Diskussionen immer wieder zum Ausdruck gebracht wurde. Eine Mutter, die beispielsweise sehr viel in der Landwirtschaft arbeiten muss, kann sich nur bedingt um ihre Kinder und deren Ernährung kümmern.

Überhaupt müssen die Frauen stärker als bislang in geplante Programme eingebunden werden. Vor allem im Zusammenhang mit der Landwirtschaft war des Öfteren von den „fehlenden Frauen“ die Rede. Gemeint ist damit, dass in den meisten Ländern die Landwirtschaft in der Hand der Männer ist und sich daher die Ausgestaltung landwirtschaftlicher Programme an deren Bedürfnissen ausrichtet. Ebenso wenig sind die ärmsten Haushalte und Kinder Zielgruppen in vielen Programmen. In Zukunft müsse man mehr nach den einzelnen Gruppen schauen, nicht immer nach der Gesamtheit. Und, ganz wichtig für den Erfolg, die Bereiche Landwirtschaft, Ernährung und Gesundheit müssen miteinander verzahnt werden, so eine der Botschaften aus Bonn.

Diese Notwendigkeit zeigen auch die Fallstudien, die beim Science Forum präsentiert wurden. So zum Beispiel ein Hausgartenprogramm, das Helen Keller International in der Far Western Region in Nepal durchführte. Dort leiden mehr als die Hälfte der Kinder unter Wachstumsstörungen und Blutarmut. Nach vier Jahren war bei den Kindern die Blutarmut um knapp ein Viertel zurückgegangen. Die verbesserte Ernährung zeigte aber keinen nennenswerten Einfluss auf das Wachstum der Kinder. Vergleichbare Ergebnisse brachte ein ähnliches Programm der Organisation in Burkina Faso.

Forschung noch immer zu einseitig
Bisher waren Ernährungs- und landwirtschaftliche Programme viel zu sehr auf die Kalorienmenge fixiert, die ein Mensch braucht, um satt zu sein. Die Qualität der Nahrung spielte, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Das hatte auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Agrarforschung. Im Mittelpunkt stand immer die Erhöhung der Erträge sowohl der Nahrungspflanzen als auch der gesamten landwirtschaftlichen Produktion. Und noch immer, so die Behauptung von Prabhu Pingali von der Cornell University, sei die Agrarforschung zu sehr auf die Pflanzen der Grünen Revolution fixiert, wie Reis, Mais oder Weizen fixiert. Es gebe noch immer zu wenig Forschung bei anderen Nahrungspflanzen, zum Beispiel Hirse, Linsen oder Bohnen, die für die Ernährung vor allem der Ärmeren wichtig sind. Auch Obst und Gemüse muss in der internationalen Agrarforschung künftig eine größere Rolle spielen als bislang.

Gleichwohl kann die Agrarforschung mit erfolgreichen Züchtungen von Nahrungspflanzen aufwarten, die nicht nur gute Erträge bringen, sondern auch mehr Inhaltsstoffe haben als herkömmliche Sorten. So gibt es inzwischen beispielsweise Süßkartoffeln mit orangefarbenem Fleisch; sie haben einen hohen Vitamin A-Gehalt. In Indien ist seit einem Jahr eine Hirsesorte mit einem Plus an Eisen und Zink auf dem Markt und in Pakistan Weizen mit einem höheren Zinkgehalt. Die Züchtung dieser mit Mikronährstoffen angereicherten Pflanzen in internationalen Agrarforschungsinstituten ist relativ neu und erfolgt auf herkömmlichem Weg.

Doch diese Biofortifikation reicht nicht aus, um die Ernährung langfristig zu verbessern, so Pingali. Das gehe nur mit Verhaltenänderungen und einer Änderung des Systems der Wissensvermittlung. Eine zentrale Rolle weist er dabei den Systemen auf Gemeindeebene und Frauenorganisationen zu. Sie seien die Schlüssel für den Wandel.

Um aber wirklich erfolgreich den verborgenen Hunger bekämpfen zu können, muss das Silodenken ein Ende haben, wie die Wissenschaftler beim Science Forum 2013 immer wieder betonten. Man brauche neue Partnerschaften. Das gelte für die Agrarforschungsinstitute untereinander ebenso wie für die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen oder auch mit Nichtregierungsorganisationen und der Privatwirtschaft. Eine Zusammenarbeit auf dieser Ebene würde viele Innovationen in Gang setzen, so die Überzeugung der Wissenschaftler beim Bonner Science Forum. Auch die Politik müsse man mit im Boot haben, sonst seidas Scheitern vorprogrammiert.

Hier geht’s zur englischen Version des Berichts.

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