Der Schatten und der Störenfried

Ein Schatten – er bewegt sich durch die Räume, geräuschlos. Gespenstisch fast.
Wo sonst Menschen sind, reden, lachen, schimpfen ist Stille. Hüllt alles ein wie Watte. Die spärliche Beleuchtung schafft in jedem Raum eine Lichtinsel, der Rest verschmilzt mit der Dunkelheit, verbirgt sich vor dem Blick.

Der Schatten gleitet durch die Lichtinseln, bleibt stehen, geht weiter, bleibt wieder stehen. Bückt sich, verharrt. Blickt wie erstarrt auf die Linie zwischen Licht und Dunkelheit.
Da ist etwas, was die Linie unterbricht, die Harmonie stört.

Eine Staubflocke. Ein Störenfried auf dem blank gewienerten Boden, eine Ungeheuerlichkeit.
Der Schatten bückt sich noch tiefer, seziert mit seinem Blick das Corpus delicti. Haare. Rötlich? Blond? Grau? Schwer zu sagen. Das Licht verleiht ihnen etwas Geheimnisvolles, fast Unirdisches. Gewebefasern. Hausstaub.

Wie hatte es diese eher zufällige Gemeinschaft nur fertiggebracht, dem täglichen Putzritual zu trotzen!?
Der Schatten bewegt sich – greift nach dem zarten Gebilde – und hebt es liebevoll auf. Trägt es auf seiner Hand durch Dunkelheit und Licht. Er will heute nicht zerstören. Heute ist Weihnachten.

Copyright: Beate Wörner

 

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